Rezension: Mythos Gold – Schützende Pracht

Da Charles Darwins sehr vorsichtige Formulierung, dass auf die Abstammungsverhältnise von Mensch und Affe später noch manches Licht fallen werde, wohl meist eher böswillig missverstanden wurde, suchten Anthropologen, Ethnologen, Verhaltensforscher und religiöse Fundamentalisten gleich welcher Couleur nach Argumenten für bzw. wider der Affendeszendenz. Viele liebe, als nur -menschlich-einzigartig gedachte Fähigkeiten blieben dabei auf der Strecke und erwiesen sich als verbindende und nicht als trennende Merkmale. Das Bedürfnis sich zu schmücken bleibt -bislang wenigstens -aber dem Homo sapiens vorbehalten. Schmuck ist ein Phänomen aller Zeiten und Kulturen; nicht nur manche Hausschatulle, auch Museen und Sammlungen sind voll von Exponaten aus allen Kontinenten, wenn auch mit unterschiedlicher Gewichtung. Nicht alle Kulturen und Regionen sind dabei mit großen Stückzahlen vertreten; das Fehlen alten indischen Schmucks fällt besonders schmerzlich auf und macht damit die regionale kulturhistorische Forschung eher schwierig. Hans Weihreter stößt mit seiner neuesten Publikation wieder in diese Lücke und setzt Untersuchungen über die indische Schmucktradition weiter fort. Die Funktionen des Schmucks sind gar vielfältig: von der Kapitalanlage über Standessymbol, Reichtum, Hinweis auf Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, politischen Einheit, Verdienste, Familienstand, Alterskohorte oder einer Glaubensrichtung spannt sich der Bogen. Aber der Aspekt der Schönheit darf auf keinen Fall unterschlagen werden ebenso wie die Funktion des Schutzes. Besonders dem letzten Aspekt ist die vorgelegte Publikation gewidmet und anhand vieler Beispiele ausgeführt.

Der Autor geht dabei nach einer alten Hindu-Tradition vor: nach SHIK-NAK „vom Scheitel bis zu den Zehennägeln“ bei sterblichen Menschen, bei Göttern in der umgekehrten Reihenfolge NAK-SHIK beschreibt er Formen und Funktionen von Geschmeide unterschiedlicher Materialien bei einigen Ethnien, religiösen Gruppen, Kasten und der Nobilitäten einiger Stammeskulturen des indischen Subkontinents und referenziert immer wieder auf Tempelskulpturen und orale bzw. schriftliche Überlieferung, auch über das unmittelbare Untersuchungsgebiet hinaus. Kenntnis-und detailreich wird der Leser in die hinduistische Vorstellungswelt, in einen Kosmos von Bedrohung und Schutzbedürfnis geführt. Jede Körperöffnung muss vor bösen Mächten verschlossen werden, jeder Körperteil bedarf seiner Bewahrung vor Unheil. Nicht einmal die Götter sind vor Unheil sicher. Gold und Silber, edle Steine, Reifen, Ohrpflöcke, Nasenringe, Tikas, Fußringe und Ketten sichern den Träger, die Trägerin der Schutzstücke und geben ihm und ihr auch noch das gute Gefühl der Schönheit. Weihreter verschweigt aber auch nicht den Wandel im heutigen Indien, einer aufstrebenden Wirtschafts-Weltmacht, hin zu einer Verflachung bis zum Verlust der Schmucktraditionen. Das Verschwinden der Kenntnisträger wiegt dabei genauso schwer wie die Anpassung an die Neue Zeit, Aufkommen einer neuen bürgerlichen Mittelschicht und ihre Vorstellung von zum Accessoire gewandelten Schmucks. Auch in dieser neuen Publikation kommt die bewährte Technik der CD wieder zum Einsatz; mit Hilfe eines geeigneten Readers (eine gängige Version ist zur Installation beigefügt) lässt sich der Text gut erschließen. Die Bilder sind teils im Studio mit bester Ausleuchtung, teils auf ausgedehnten Reisen entstanden. Die Lupenfunktion läßt erhebliche Vergrößerungen zur Betrachtung von Details zu. Und die sind reichlich vorhanden: feinste Goldkegel-Dekorationen, Granulationen und Ziselierungen werden sichtbar, Emaildekor leuchtet und textile Bestandteile zeigen Struktur. Der wissenschaftliche Apparat ist ausreichend aber kurz gehalten, ebenso die Einführungen und die Ausführungen zur Schreibweise. Ohne Kenntnis der vorausgegangenen Publikationen von H. Weihreter (z.B. JADE, 2003; KAVACCHA-Amulette der Hindus Indiens, 3. Aufl. 2006) oder anderer einführender Literatur wird es für den Novizen im Bereich Schmuck eher schwierig alle Aspekte des Themas zu erfassen. Jedoch für den komparativ arbeitenden Ethnologen, den Archäologen, den Kunsthistoriker oder den interessierten Sammler ergeben sich neue und spannende Aspekte der Interpretation von Exponaten, Funden und Befunden unter dem Aspekt des schmückenden Schutzes oder der schützenden Pracht.

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